Der Dialog als Schlüsselelement für die Zukunft Europas

Der demokratische Umgang mit einer in der Geschichte Europas und Österreichs verwurzelten und gewachsenen kulturellen und religiösen Vielfalt ist zu einer vordringlichen gesellschaftspolitischen Aufgabe geworden. Wie können wir auf diese Vielfalt reagieren? Welche Vision haben wir von der Gesellschaft von morgen? Wie kann sich unsere Gesellschaft zu einer dynamischen, offene, frei von jeglicher Diskriminierung entwickeln, in der die Integration aller unter vollständiger Achtung ihrer Menschen- und Bürgerrechte gefördert wird?

Diese Achtung und Förderung der kulturellen und religiösen Vielfalt auf der Grundlage europäischer Werte nimmt über den Dialog der Religionen und Kulturen zu Beginn des 21. Jahrhunderts im öffentlichen Leben einen wichtigen Raum ein und ist mittlerweile von großer identitätsstiftender Relevanz.  In unseren zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaften ist eine Verstärkung des interreligiösen Dialogs und der interreligiösen Zusammenarbeit neben der Förderung des solidarischen Zusammenlebens nicht zuletzt auch notwendig, um religiös und kulturell begründeten Konflikten vorzubeugen.  Interreligiöser Dialog ist somit ein  Erfordernis unserer Zeit. Die zunehmende Vielfalt bedarf des Gesprächs über ethnische, religiöse, sprachliche und nationale Grenzen hinweg, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern.

Unterschiedliche spirituelle und religiöse Traditionen begründen Werte, die ein Leben in Würde für alle Menschen gewährleisten können. Es gilt Wege zu finden, um zu einem neuen Verständnis von Partikularität und Pluralismus zu gelangen. Vertrauen und Achtung zwischen den Religionen soll durch Gespräche, lokale, regionale und kulturübergreifende Begegnungen zu Themen wie Religion und Gewalt, Wahrnehmung des „Anderen“ und Identitätssuche in pluralistischen Gesellschaften gestärkt werden. Der Dialog mit Religionsgemeinschaften und Vereinen soll durch die Einrichtung von Dialogforen gefördert werden unter sensibler Einbeziehung auch jener Menschen, die oft noch nicht in derartigen Institutionen organisiert sind.

In einer Zeit, in der in den meisten Ländern der Welt religiöse Pluralität herrscht, ist Dialog auf allen möglichen Ebenen notwendig. Ein solcher Dialog kann in den unterschiedlichsten Formen stattfinden, wie etwa im lebensweltlichen Kontext, in Informationsgesprächen zum gegenseitigen Kennenlernen, über Projektdialoge oder im Mediationsdialog im Konfliktfall, oder etwa über die Begegnung von Schulklassen mit VertreterInnen anderer Religionen und Kulturen.

In einem Land wie Österreich mit christlicher Prägung ist zu beachten, dass Begegnungen selten strukturell symmetrisch sind, sondern dass Vertreter des Mehrheitschristentums mit Minderheitsreligionen zusammentreffen und über deren Anliegen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sprechen. Wichtiges Anliegen des Dialoges ist das Arbeiten an einer gedeihlichen Atmosphäre in gemeinsamen Lebensräumen für alle. Interkulturalität bzw. Interreligiosität sind hierbei nicht nur als Begriffe, sondern auch ganz real gelebte Überschneidungen und das Zusammentreffen zwischen Kulturen bzw. Religionen in all ihrer Vielfalt. Der konstruktive Umgang mit verschiedenen Kulturen und Religionen ist deshalb wesentlich. Darum muss es uns ein Anliegen sein, für den interreligiösen und interkulturellen Dialog Plattformen der Begegnung zu schaffen, um sich auf gleicher Augenhöhe begegnen zu können.

Die in der EU als Ziel verankerte Konzeption und Umsetzung einer umfassenden Integrationspolitik setzt auf gemeinsame Grundprinzipien und ein integratives Konzept. Diese wiederum bedingen in ihrer Umsetzung eine Stärkung der bestehenden Kapazitäten. Um eine kohärente, wirksame und effiziente Integrationspolitik auf lokaler Ebene zu gewährleisten, müssen Plattformen für den Austausch von Informationen und Erfahrungen integrativ und dialogisch wirkender Stellen eingerichtet werden.

Die Begegnung von Kulturen und Religionen hat in Graz eine dauerhafte, gute und in die Zukunft führende Tradition. Dies ist einer an Toleranz und sozialer Gerechtigkeit orientierten Stadtpolitik zu verdanken, welche sich über die Einrichtung des Integrationsreferats, des Friedensbüros, des Menschenrechtsbeirats und des interreligiösen Beirats, zahlreichen Kooperationen und Dialog- Initiativen wirksam wird. Das Engagement vieler einzelner und nicht zuletzt jenes der Kirchen, ökumenischen Begegnungen und der Religionsgemeinschaften tragen ebenso zum friedlichen Zusammenleben der Religionen und Kulturen in Graz bei. Mit Recht trägt Graz daher seit mehr als 20 Jahren den stolzen und auf Dauer verpflichtenden Titel „Stadt der Menschenrechte“.